Ich beginne das Schreiben dieses Artikels, sitzend, im Raum Adams im Leipziger Congresscenter. Es ist 10 Uhr, Ende Dezember. Vor mehr als sechs Stunden bin ich aufgestanden und in Kirkel losgefahren. Freie Straßen, die Anreise war angenehm.
Mit diesen Tagen erfülle ich mir einen alten Traum. Wie so viele wollte ich schon lange den Chaos Communication Congress (C3) besuchen – nur getan habe ich es nicht. Bis heute. In etwas weniger als einer Stunde geht es los. Der erste Eindruck: Die krasseste LAN-Party der Welt. Halle zwei sieht aus wie ein Nerdspielplatz. Für jemand, der die längste Zeit seines Lebens als solcher bezeichnet wurde, ist das eine ungewöhnliche Erfahrung. Ich bin hier vielleicht der „normalste“. Ich fühle mich, im besten Sinne, überfordert und freue mich auf die kommenden Tage. Immerhin, mit meiner bevorzugten Kleidung falle ich hier nicht auf. Dunkle Farben und Hoodies dominieren das Bild.
Der erste Tag
Nach der Eröffnung durch Tim Pritlove, der dabei oft den verstorbenen Wau Holland zu Wort kommen lässt, beginnt mein Programm. Die Themen, die 36 Jahre zuvor zur Gründung des CCC und den ersten Veranstaltungen führte, klingen vertraut. Leider auch die Kommentare – wirklich viel geändert hat sich leider nicht.
Ich besuche an diesem Tag mehrere Vorträge zu geheimdienstlichen Themen. Im ersten wird aufgezeigt, wie der britische Geheimdienst GCHQ eine Kombination aus Fake Profilen, einem URL Shortener und Proxyservern nutzte, um Einfluss (u. a. im Iran) zu nehmen und Informationen zu sammeln.
In der zweiten Session gibt es einen netzpolitischen Wetterbericht von Markus Beckedahl von Netzpolitik.org. Takeaway, bestes Zitat des Tages:
Internet of Things is when the toaster mines Bitcoins to pay off its gambling debt to the fridge. Share on X
Der Bericht fällt, leider, nicht gut aus. Viele Dinge, vor denen gewarnt wurde, sind gekommen oder stehen bevor. Die Netzneutralität wackelt, das Leistungsschutzrecht ist immer noch da. Von NetzDG und dem (wie eben gemeldet) vorerst gescheiterten besonderen Anwaltspostfach ganz zu schweigen. Wenige Lichtblicke, einer davon der Wegfall der Störerhaftung. Beckedahl konstatiert, wenig überraschend, Nachholbedarf, insbesondere bei der Digitalkompetenz in Schulen. No surprises.
Science Talks
Danach hörte ich mir einen tollen Talk an, der anhand vieler Beispiele aufzeigte, warum unsere wissenschaftlichen Methoden und Messkriterien genauer angesehen werden müssen. Der Speaker beklagte (und belegte), dass Wissenschaft von einem Bias zu Gunsten „passender Ergebnisse“ dominiert ist. Er zeigte mit Hilfe eines selbstgeschriebenen Skripts, dass er mit Zufallsergebnissen auch tolle P-Werte erzielen kann. Somit sei P, und das dazu passende Veröffentlichen, kein gutes Kriterium mehr. Zudem kann der Wert durch “Trial and Error” Ändern von Variablen im Versuchsaufbau massiv beeinflusst werden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Echte Wissenschaft ist meist langweilig und produziert negative Ergebnisse. Nur werden diese nicht so gern veröffentlicht.
Ein guter Vorschlag, hier entgegen zu steuern, ist das vorherige Anmelden der Forschung nebst Versuchsaufbau bei entsprechenden Publikationen. Mit vorheriger Zu- oder Absage zur Veröffentlichung, unabhängig des Ergebnisses. Klingt für mich vernünftig.
Standing Ovations für Hans-Christian Ströbele
Mein Tagesabschluss war ein Gespräch zwischen Constance Kurz und Hans-Christian Ströbele zu den Abhörprogrammen der Geheimdienste. Nicht viel neues, was den Inhalt angeht. Aber noch einmal die klare und unmissverständliche Aussage, dass schlicht nichts passiert ist, obwohl bewiesen ist, dass wir alle abgehört werden.
Als amtierendes Mitglied des PKG muss Ströbele aufpassen, was er sagt. Er kämpfte dennoch leidenschaftlich dafür, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sein Lohn, auch für viele Jahre Arbeit im Bundestag, waren standing Ovations des Publikums. Zitat des Tages:
Geheimdienste haben eine heilsame Angst vor parlamentarischer Kontrolle. Share on X
Fun facts am Rande: Offiziell hat die Regierung bis heute Fragen an die USA offen. Ebenso die Entscheidung, ob Snowden nach Deutschland reisen darf. Sechs Monate nach Abschluss des Untersuchungsausschuss. 🙂
Rest liegend
Nach der Pause habe ich drei weitere Vorträge im Stream geschaut. Ich war zu müde nach der langen Anreise. Der Versuch, Relativitätstheorie zu verstehen, ist nach wie vor gescheitert, obwohl Steine sehr anschaulich erklärt.
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